Tag 3, 04.11.2013, Montag - Ich bin ein Würdenträger?!
Glick auf liebe Mitmenschen!
Heute heißt es rein in schickere Klamotten und den ersten Campus und seine Studenten besuchen. Ich fühle mich immernoch sehr unbehaglich was Indien angeht, ja eigentlich möchte ich direkt die Flucht ergreifen. Und ehrlich gesagt war ich darüber auch ein wenig entsetzt. Ich habe mich immer für einen toleranten und weltoffenen Menschen gehalten, aber scheinbar reicht das nicht aus wenn man mir nichts dir nichts in eine grundlegend und völlig andere Kultur hineingeschmissen wird und das einzige was man kennt sind Oberflächlichkeiten wie etwa Suzukis und Handys... und selbst die sind nicht die selben. Erschreckend.
Wie dem auch sei, jetzt heißt es a) durchhalten, und b) sich immer wieder sagen dass man sich erst an alles gewöhnen muss, dann wird das schon. Dergleichen kannte ich ja schon von Calw, da habe ich mir das auch über sehr lange Zeit eingeredet und es hat sich ja schließlich auch bezahlt gemacht, wenn auch spät.
Die Fahrt zum Campus war im Vergleich relativ kurz. Als mir dann, kurz vorm Einbiegen in die Auffahrt, letztlich das Schild der Universität auffällt, muss ich ehrlich sagen habe ich nicht schlecht gestaunt. Ich hatte mehr erwartet. Sah aus wie ein Gebäude das nur geringfügig jünger und gepflegter war als eines dass heute in Pripjat steht. Das alles war dennoch wenige Sekunden später komplett vergessen als wir direkt vor den Eingang gefahren wurden und uns eine Menge schick gekleiderter Studenten empfangen wollten. Ich muss sagen, ich hab da nicht schlecht gestaunt, aber gleichzeitig auch etwas geschämt. Mir gefällt solche Aufmerksamkeit nicht, zumindest nicht wenn es nicht unmittelbar mit Leistungen meinerseits einhergeht. Und hier? Hier habe ich mich nur ins Flugzeug gesetzt und wurde hergefahren, das wars. Erst einige Zeit später sollte mir das Verhalten erklärt werden: Inder sind gastfreundlich - durch und durch! Und wenn da gehört es zum guten Ton einiges aufzufahren für ihre Gäste - hätte es in Deutschland nicht gegeben...
Uns wurden direkt zur Begrüßung eine Kette aus Jasminblumen übergehängt und zwei Punkte (fühlte sich an wie eine Mischung aus Lehm und Farbe) auf und Stirn gemacht. Symbolisch hat das mit der Verbindung zu den (Hindu?-)Göttern zu tun, was das bei einer Begrüßung von Christen soll ist mir weiterhin schleierhaft.
Es ist ein seltsames Gefühl zwischen all den lächelnden Menschen hindurchzuwandern, aber kam nicht umhin zu bemerken dass die Fröhlichkeit ansteckend war. Wir wurden ein Stockwerk hinauf in den Computerraum der Uni geführt wo wir einen mit rotem Tuch bedeckten Tisch vorfanden - offenbar unser offizieller Empfangsraum. Und tatsächlich, es dauerte nicht lang als wir Prof. Raveentran kennenlernten. Ein kleingewachsener Mann der das Lächeln ebenso nicht verlernt hatte wie Prof Faisal - wobei man hier schon beinahe von einem Grinsen sprechen kann. Er ist mir sofort sympathisch. Was aber auch damit zusammenhängt dass er zu den (bis jetzt) wenigen Indern gehört deren Englisch man versteht und mit denen man ohne große Anstrengungen kommunizieren kann. ...ich hoffe im Stillen dass es an mir und meinen Hörgewohnheiten liegt und sich das insgesamt noch bessert.
Nach wenigen Worten des Professors wurden uns auch schon außergewöhnliche Getränke angeboten - für mich ein absolutes Highligh! Kokosnüsse!
(Daraus kann man sicher auch guten Schnaps machen........... ;) )Es dauert nicht lang, dann werden wir auch schon nach draußen und in eine Art Audimax geführt. Es erinnert mich mit all den Holzbänken an ein altes Klassenzimmer zu Beginn des 20. Jahrhunderts - ein solches habe ich einmal in der Grundschule besucht. Wir werden zu einer kleinen Bühne geleitet auf der viele Stühle aufgereiht sind. Dahinter prangt ein Plakat mit "Hezrlich Willkommen" - ein Stück zuhause so etwas nach solchen Tagen zu lesen - ich bin gerührt. An die Blicke die mir, wahrscheinlich wegen meiner blonden Haarfarbe, zugeworfen werden, habe ich mittlerweile gewöhnt.
Die "Delegation of Germany" wird gebeten auf der Bühne Platz zu nehmen, ehe Prof. Asokan ein paar Worte spricht. Später sollten wir uns noch einzeln vorstellen. Ich war der erste. Schritt bedacht ans Rednerpult und war heilfroh, dass ich so viel in der Hochschule reden musste, auch in englischer Sprache zuletzt. Die Situation schien mir vertraut, keine Anspannung, im Gegenteil, ich freute mich darauf etwas sagen zu dürfen. Es war mir ein Bedrüfnis einmal den Eindruck zum Ausdruck zu bringen, den mir der Empfang gegeben hatte. "I'm proud and it is an hounour to be here. Thank you for the warm and hearty welcome." ...waren einiger meiner Worte. Ich war in der Tat absolut überwältigt wie wir hier begrüßt wurden, für Deutsche absolutes Neuland, aber deshalb nicht minder schön.
Ein weiteres Highlight waren Studenten die feierten wie wild. Gingen durch die Gänge der Hochschule und die Vorlesungsräume, trommelten und tanzten ausgelassen. Warum sie das taten weiß ich nicht mehr genau, ich glaube aber weil sie eine Election (Wahl) gewohnnen hatten... oder ihren Degree (Abschluss) bekamen. Einer der Studenten sah mich fordernd an und machte dann eine einladende Bewegung mit der Hand. Ich sollte mitmachen. In diesem Moment fühle ich mich zugegeben abermals etwas unbehaglich, aber in einer Millisekunde beschloss ich "Jetzt bist du hier, jetzt machst du auch alles mit. Sollst ja schließlich was von Land und Leuten lernen und dass es für Europäer ungewohnt oder albern scheinen kann, war die ja vorher klar. Also los jetzt!"
Gesagt getan! Ich tanzte ausgelassen mit, schrie, war mittendrin und wurde gleich akzeptiert. Überragend wenn man seine Hemmschwelle dahingehend einmal überwunden hatte!
Etwas wunderte mich aber doch: wie viel kommunistische Symbole auf dem Campus zu sehen waren. Hammer und Sichel, Che und rote Sterne überall. Später erklärte man uns, und das deckte sich auch mit der Symbolhäufigkeit im ganzen Bundesstaat, dass besonders Kerala sehr sozialistisch (nicht kommunistisch) geprägt ist und das fast die Hälfte des Landesparlaments aus Sozialisten bestand. Offenkundig waren Universitäten hier ein Platz des politischen Austausches, mehr als in Deutschland heute.
Was schön ist: Heute war endlich Gelegenheit einmal mit den Studenten zu sprechen, und so bekam jeder Deutsche, eine Gruppe Inder, die ihn ausquetschten. Was ich dort alles erfahren habe, werde ich in einem extra Blog einmal zusammenfassen, da sich dieses Ritual noch einige Male wiederholen soll. Jedenfalls fühlte ich mich nach den Gesprächen schon deutlich wohler hier. Menschen mit denen man sich austauschen kann helfen immer bei Fernweh, das kannte ich ja schon.
Am Nachmittag, nach dem wir zu Mittag gegessen hatten, wurden wir noch an einen Aussichtspunkt geführt, der uns das arabische Meer zeigte - wunderschön.
Damit war der Tag aber noch nicht beendet. Wir besuchten ein zweites Fort, ganz in der Nähe. Wir kamen an Schulkindern vorbei, die uns freundlich zu winkten - hätts in Deutschland auch nicht gegeben. Auf einem Punkt, auf dem wir die ganze Festung überblicken konnten, sahen wir in Richtung Meer Kinder Fußball spielen, ein Stück Zuhause. Natürlich wollten wir mitspielen, aber vorerst galt es die Aussicht zu genießen. Weiter sahen wir auch das erste Anzeichen von Christentum in Indien: eine christliche (ich würde sogar fast sagen katholische) Schule, in der Kinder aufgereiht wurden wie im Militär (auf Nachfrage erklärte man mir, das macht man um die Kinder Disziplin zu lehren), dann sahen wir einen Friedhof der aber vom Aussehen her deutlich in Richtung Spanien/Portugal ging (auch hier fragte ich nach, ob es denn auch Hindi-Friedhöfe gibt, man erklärte mir Hinduismus und Budhismus gehören zum selben Verein an, wie auch Muslime und Christen zusammengehören, und dort sei es Sitte, die Menschen, sofern sie das Kleinkindalter übertreten hatten, zu verbrennen, damit hat die Seele die Möglichkeit aus ihrem irdischen Gefäß zu entfliehen und wiedergeboren zu werden), außerdem sahen wir eine Kirche und die sah so aus wie Kirchen normalerweise überall aussehen ;)
David