Samstag, 16. November 2013

Tag 0 und 1 - Abflug über den Tellerrand


Glick auf liebe Mitmenschen und Welcome to the world outside you know


Tag 0, 01.11.2013 - Abflug

Wenig Schlaf und viel Stress in der letzten Woche. Keine guten Voraussetzungen für eine Reise, die fast einen Tag dauert…
Freitag 01.11.13 um halb 6 aufgestanden, mit dem Auto nach Frankfurt gefahren und gegen 7 am Flughafen angekommen. Das ganze Prozedere ist für einen Flugneuling wie mich leicht verwirrend, aber meine Kommilitonen helfen gern. Check in verlief reibungslos, Tasche unter 10kg (bleibt für den Rückflug 20kg übrig ;) ), Handgepäck knapp 6kg (trotz Laptop!), läuft. Duty Free erst einmal Whiskey kaufen, soll ja den Magen desinfizieren. Freilich haben wir auch zunächst darüber gelächelt à la „wir saufen und jetzt unter gutem Vorwand jeden Tag die Hucke voll“, aber das wird schon einen Tag später vergehen… Vorm Sicherheitscheck noch einmal schnell von Familie telefonisch verabschiedet und noch mit Rätselbuch und Metal Hammer eingedeckt. Dann geht es auch schon los. Für mich war die Sicht aus dem Gate hinunter auf unser Flugzeug von der Etihad-Airline etwas Besonderes. Für mich ist es der vierte Flug überhaupt in meinem Leben, und der erste endete mit einem Sprung aus dem Flugzeug. Der erste Langstreckenflug also. Den meisten Bammel hatte ich davor, was ich denn in der ganzen Zeit auf dem Flug tun sollte. Zwar wurde mir erzählt es würden Filme gezeigt, aber mir war nicht klar ob die arabisch oder doch englisch sein würden.



Sitzplatz neben einen netten Triathleten gefunden, der noch etwas verkatert war. Er erzählte mir später, er habe Abschied gefeiert und würde nach Thailand fliegen. Ich fragte warum ausgerechnet Thailand, und er antwortete er habe Hangover 2 im Kino gesehen und habe direkt im Anschluss mit seinen Freunden den nächsten Flug gebucht. Und nun sei er für 2 Monate da. Es sei billig und das Drehkreuz für alle interessanten fernasiatischen Länder. Ich überlege mir kurz nicht evtl. Thailand auf meine Liste der Länder zu setzen, die ich noch besuchen will, aber verwarf die Idee dann doch erst mal. Eine geschlagene dreiviertel Stunde warteten wir im Flugzeug, ehe Bewegung eintrat. Die ganze Zeit lief Werbung von Etihad und Abu Dhabi auf den kleinen Displays vor uns. Ich war erschrocken über die geringe Beinfreiheit auf einem Interkontinentalflug. Dann ging es los. Ewiges auf der Rollbahn rumfahren – Frankfurt scheint in dem Punkt etwas größer zu sein – dann der Start! Auf diesen Augenblick freute ich mich am meisten. Der Geschwindigkeitsrausch hatte mich bereits auf dem ersten Linienflug Berlin – Stuttgart beeindruckt, und auch jetzt machte es mir Spaß, allerdings weniger als ich hoffte. Es ist scheinbar wie mit allen Drogen, die Wirkung lässt nach und du gierst nach immer mehr um noch einmal das Gefühl des ersten Males zu haben. Das Abheben selbst war seltsam. Wie mit verbundenen Augen Achterbahn fahren. Du weißt nie wohin es geht (aufwärts, abwärts, seitwärts) und siehst es auch nicht, aber dein Körper spürt es. Deutlich. Zugegeben, mir bereitete das etwas Unbehagen.

Mein Hirn stellte sofort auf Englisch um, so dass mir auch nicht die Werbung entging. Nach einiger Zeit in der Luft stellte der Bildschirm von Flugdaten (wie Geschwindigkeit, Höhe, Temperatur etc.) auf, naja, ich nenne es jetzt mal, Entertainmentmediathek um. Ich war schlicht absolut überwältigt von den Angeboten! Spiele, Filme, Serien, Nachrichten, Flugdaten, Karten, K A M E R A S ?!?! (man kann tatsächlich mit Kameras aus dem Flugzeug schauen – wie bei Call Of Duty 4… Fehlt nur noch die Thermo- und Nachtsichtoption) Unfassbar. Ich startete mit dem klassischen Space Invaders. :D 

Mit knapp tausend km/h zischten wir über die Wolken. Eine Wahnsinnsgeschwindigkeit, kaum vorstellbar, zumal auch irgendwann sämtliche Bezugspunkte verschwinden, was aber auch normal ist bei einer Flughöhe von etwa 10km. Der Kapitän stellte sich vor und kündigte prompt die ersten Turbulenzen an. Zugegeben, etwas mulmig war mir da schon, aber ich dachte mir „Wenn ich schon zu Grunde gehe, dann wenigstens mit Action.“ Galgenhumor. 


Unser Flugzeug war eine A330. Geplant waren etwa 5:50h Flugzeit, was mich überraschte, ich hatte eigentlich mit mehr gerechnet. Nach etwa einer Stunde war ich weiter von zuhause entfernt, als ich es je war – und flog über die (wahrscheinlich) schöne Stadt Budapest. Halb 2 erreichten wir dann das Schwarze Meer. Dreiviertel 2 Lunch über Ankara (fühle mich wie Globetrotter). War überrascht wie gut das Essen war und vor allem wie viel!






Gelber Reis, links irgendwas was etwas nach pflaume schmeckt, rechts schmeckt arg nach ungarischer Küche, oder das was ich darunter kennengelernt habe, Mangosaft ist der Hammer, Butter aus Schleswig-Holstein, Sahne aus Bayern, da fällt der Abschied nicht schwer. Das Dessert war übrigens der kulinarische Höhepunkt bis dahin! So verdammt lecker!!
Halb 3 werden wir dazu angehalten die Gurte zuzumachen, es soll die angekündigten Turbulenzen geben. Überlege mir ob ich nach dem Essen und während dem Geschaukel noch einen Kaffe gönne, entscheide mich dann für Cappuccino. Mein Sitznachbar erzählt die Geschichten von Thailand. 

Uns werden gerade heiße Tücher angeboten. Habe ausversehen eins angenommen, ehe ich wusste was es war. Weiß nicht wofür es ist. Komme zur Erkenntnis: Wenn sich mir der Grund nicht automatisch erschließt, ist es auch nicht nötig.

15:20Uhr (18:30Uhr Ortszeit) sehe ich meinen ersten Sonnenuntergang über den Wolken. Rechts (wo ich saß) verschwindet die Sonne, links sieht man bereits in die Nacht. Unfassbar wie sich die durch die Sonne rot gefärbten Wolken um die Berge der Vereinigten Arabischen Emirate schlingen. Malerisch.





Viertel 5 sehe ich Kuwait bei Nacht. Beeindruckend. Dreiviertel 5 erzählt der Kapitän was von 31°C… ich glaub er lügt, sitze mit Pullover hier. Aber auch nur, weil ich nicht wusste wohin damit, warm genug war es im Flugzeug, aber Platz… naja.



Ankunft in Abu Dhabi. Eine Luftwand wie in einem Gewächshaus, Sand auf dem Gehsteig. Habe Lust hier zu bleiben. Flug war angenehm. mittlerweile ist es hier um 9, in Deutschland ist es um 6, fühle  mich wie um 12 mittags, hoffe ich werde den nächsten Tag ohne Schlaf überstehen um so in den Rhythmus reinzukommen. Bis jetzt bin ich nicht müde.
Die bequeme Bundeswehrhose für den langen Flug anzuziehen war angesichts meines jetzigen Schwitzens möglicherweise nicht die beste Idee. Ich musste kurz schmunzeln als wir das Innere des Air Ports betraten: Trotz all der neuen Eindrücke, andere Sprachen und Kulturen, fühle ich mich nicht fremd, es erscheint mir alles noch normal. Habe wohl zu viel fern gesehen. Ich erinnere mich grad daran, dass es Inder nicht so mit der Zeit haben wie wir, ein anderes Verständnis eben. Ich befürchte nun, dass wir stundenlang am Airport Calicut festsitzen werden… Nunja, zumindest werde ich in Indien dann den zweiten Sonnenaufgang heute sehen! (Heute = innerhalb von 24 Stunden)

Komische Welt. Die Frauen müssen als erstes einchecken, die Anweiserin, eine kräftig gebaute, dunkelhäutige Frau in blauer Uniform, führt ein hartes Regiment. Etwas irritiert und leicht verärgert war ich als wir Männer dann plötzlich gedrängt wurden und es nicht schnell genug gehen konnte. Mein Gedanke dazu wortwörtlich: „Erst lassen sie sich Zeit und dann wirste wie Vieh abgefertigt!“ Zumindest erheiterte mich bald der Kommentar von Flo zu Freundin Mara: „Wir sind hier auf neutralem Boden, hier darf ich alles mit dir machen…“ Als wir 19 Uhr mit den Kontrollen durch und uns im Shuttlebus zum nächsten Flugzeug befinden, beginne ich doch langsam müde zu werden. Der Flug nach Abu Dhabi war so voll und aufregend, dass ich auch schlicht nicht schlafen konnte. Schließlich war am selben Wochenende dort auch Formel 1 – klar dass sich da jeder reinquetscht, der kann.

20 Uhr (23 Uhr Ortszeit):  Haben gute Stunde zu warten weil der uns zugewiesene Slot besetzt wurde von Flugzeugen, die den Luftraum brauchen, das sei nicht besonderes für die Uhrzeit, zumindest soweit ich das verstanden habe. Sie versuchen uns mit Katzenvideos zu besänftigen, einige Inder lachen herzlich darüber und ich stimme mit ein. Wir befinden uns nun in einem kleineren Flugzeug mit 2x3 Sitzreihen. Bin froh dass ich im Gang sitze und keiner in der Mitte, denn es riecht seltsam. Stark, wie der Bruder von Moschus. Habe Angst dass das noch schlimmer wird. überhaupt habe ich das dringende Bedürfnis mich zu betrinken. Einerseits freue ich mich auf all die Erlebnisse, andererseits fürchte ich allmählich dass ich mich öfters ekeln könnte als mir lieb ist…

Nunja. Bin immernoch satt vom Essen des ersten Fluges und kann kaum das Angebot dieses Fluges übersetzen, weshalb ich wohl blind aus Neugier irgendwas probieren werde. Julian meinte, das australische „Fosters“ wäre als Bier brauchbar. Sie bieten hier zwar Heineken an, aber davon war ich nie Freund. 20:12 Uhr, das Flugzeug bewegt sich. Endlich! 




22:44 Uhr habe eben Internship zu Ende geschaut. Netter Film, leichte Kost für die Uhrzeit. Es folgt eine Hälfte World War Z. Auf der Toilette kratzt mein Essen der letzten Stunde gefährlich nahe an meiner Speiseröhre. Es riecht furchtbar ekelerregend und übertrieben künstlich. Nach etwas, was Inder wohl Parfum nennen. Ich nenne es eine Mischung aus Curry, Pflaume und Moschus - kurz: widerlich. Aber nicht ganz so schlimm wie das, was alte Frauen oft pflegen bei uns zu tragen… kiloweise. 


Tag 1, 02.11.2013 - Hallo, mein Name ist Indien!

00:09 Uhr (4:39 Uhr Ortszeit): Vor 3 Minuten gelandet. Fühle mich immernoch als würde das Flugzeug bremsen. Die Leute hier standen schon in den Gängen unseres Flugzeuges, als wir nicht einmal in der Nähe unseres Stellplatzes waren. Keine Geduld oder es gibt etwas umsonst. Ersteres sollte sich einige Zeit später als richtig herausstellen… Es sind 24°C draußen, und dabei ist es halb 5 Ortszeit, in ruhigen Momenten werde ich immer müder….noch ein Tag vor mir… Schwül und Regen. Die Inder sehen teils dunkler aus als erwartet. Die Erde dreht sich, fühl mich etwas wie betrunken. Toiletten auf dem Flughafen sind furchtbar, kommt mir vor wie alte DDR-Architektur, die Jahrzehnte lang nicht gewartet, aber genutzt wurde. 



Um 1: Geld tauschen. Dauert ewig. 7300 Rupien für 100€, eigentlich müssten wir 500 mehr kriegen. Entgegen aller Erwartung mussten wir nicht warten, sondern Professor Faisal wartete auf uns. (Oho – Pünktlichkeit?!?) Die Fahrt war mehr(!!!) als abenteuerlich! Ich lachte des Öfteren um meine Nervosität zu verbergen. Der Verkehr Indiens ist unvergleichbar mit dem was Europäer kennen. Auf dem ersten Blick wirkt alles sehr hektisch, chaotisch, konfus, lebensmüde. Fahrer die Hupen erscheinen mir nun als die vernünftigeren und sichereren, aber deshalb nicht zu den passiveren. Sie hupen wenn sie überholen, damit das zu überholende Fahrzeug ja ganz weit links bleibt (wir haben hier Linksverkehr). Es dauert nur kurz, bis man sich an die rechts überholenden Fahrzeuge gewöhnt hat. Schlimmer ist das Überholen selbst. Inder fahren immer ihr eigenes Tempo, egal was die Straßenverkehrsordnung vorgibt. Jeder fährt so schnell er kann. (die meisten Fahrzeuge schaffen aber nicht mehr als  80km/h, weil sie gedrosselt wurden… aus gutem Grund wie ich finde). Erkenne bald eine weitere Regel im Straßenverkehr: „Wenn Platz ist, passt auch immer noch ein Gefährt rein!“ Oder auch: „Überholt werden darf immer.“ Oder: „Rote Ampeln dienen zur Dekoration.“ Wir sahen uns nicht nur einmal mit dem Gegenverkehr konfrontiert, der ungeachtet unseres Überholvorgangs auf uns zu steuerte. Ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich durchaus Angst hatte. Die erste halbe Stunde. Dann resignierte ich und vertraute übermüdet mein Leben dem Fahrer ohne Widerworte an.

Es ist kaum zu realisieren, diese ersten Stunden in einem Land, welches wir maximal im Ansatz aus dem Fernsehen kennen. Palmen überall, überraschend gute Straßen (da kann sich die A81 teils was von abschneiden!), entlang der Wege Häuser die teils sehr bunt, teils sehr trist wirken. Allesamt haben Risse, oder sind mit Müll überseht oder sind schlicht kaputt. Indien könnte so viel schöner sein. 

Es dauert nicht lang, als wir zum Frühstück geladen wurden. Ich war sauer, war ich doch eben erst eingeschlafen in diesem unbequemen Bus, in der ich auf einer Arschbacke saß und mein Gepäck mir jegliche andere bequeme Position verweigerte. Das Frühstück war das mir Fremdeste, was ich je erlebt habe. Unterschiedlicher hätte es nicht sein können. Und ich war auch mit der Situation deutlich überfordert. Überall war es dreckig und unhygienisch. Waschen konnten wir uns auch nicht, weil das Wasser keimverseucht ist. Das Essen selbst war scharf und warm – typisches Frühstück, so sagte man mir. Als Getränk bekamen wir Wasser und Kaffee. Es schmeckte nur nicht wie Kaffee, sondern wie Eiskaffee, nur warm. Also sehr süß. [Anmerkung: ich sollte erst viel später herausfinden, dass das Tee mit Milch war…]



Auf unserer Reise, die kaum die 40km/h-Grenze überschritt, wurden wir abermals geweckt um die Statue von einem Verwandten von Hermann Hesse zu bewundern, dessen Name ich aber noch nie gehört hatte. Hermann Gunternt oder so ähnlich. Würde da Kerry King, oder James Hetfield stehen, wüsste ich sofort wer gemeint ist…

Wir fuhren von Calicut in Richtung Norden. Durch Gebiete die von Portugiesen einst besetzt waren, teils aber auch von Franzosen, die den Weinanbau mitbrachten. Und so brauchen wir für etwa 80km zwischen 2 und 3 Stunden. Genau habe ich dann nicht mehr auf die Uhr gesehen.
Ich kann nicht mehr. Es ist halb 10, liege im Bett und schlafe jetzt obwohl es überall bestialisch stinkt. Habe meine Zweifel dass ich mich daran gewöhnen werde. Bin angewidert aber zu kraftlos um dagegen irgendwie zu protestieren.

Nach einigen wenigen Stunden erholsamen Schlaf (mehr wollte ich mir nicht genehmigen um dann bei Zeiten wirklich schlafen zu können) gingen wir das erste mal auf Erkundungstour in dieser fremden Welt. Kannur ist jetzt nicht die schönste Stadt, wie wir feststellen mussten. Es wirkt alles sehr befremdlich. Menschen verhalten sich nach ungeschriebenen, gesellschaftlichen Regeln, die wir einfach nicht kennen. Die Straße zu überqueren ist ein gutes Beispiel dafür, da muss man als Ausländer schon sehr mutig sein in diesem gefährlichen Wirrwarr an Fahrzeugen hindurch zu schlüpfen. 




Am Abend lädt Professor Faisal uns zum Essen ein. Das Gebäude ist ein Turm mit mehreren Stockwerken in denen gegessen werden kann. Wir bekommen das oberste und damit den besten Ausblick auf die mittlerweile schon dunkle Stadt. Ich muss zugeben, ich war sehr angetan vom indischen Essen. Ein wenig scharf, aber alles noch erträglich. Teils verdammt lecker. In Indien isst man grundsätzlich mit der Hand, und dann auch noch mit der rechten – da die linke als schmutzig erachtet wird (warum, werde ich erst später feststellen). Das Essen mit der bloßen Hand zu berühren und damit im wahrsten Sinne des Wortes „rumzumatschen“ war eine größere Umgewöhnung, als es mit rechts zu essen (bin Linkshänder). Jetzt versteht sich auch die Sitte, dass man in der Nähe eines Essensraumes oder gar im selbigen (wie bei uns in dem Fall) grundsätzlich ein Waschbecken vorfindet. Nie war Hände waschen wichtiger als jetzt. 




Am späteren Abend sitzen wir noch gemütlich auf unserem Zimmer und spielen etwas, auch um etwas runter zu kommen und den Schock gemeinsam zu verdauen. Ich muss zugeben, ich fühl mich unbehaglich und unwohl. Vor allem, weil ich diesen Ort nicht ohne weiteres verlassen kann, wie es mir beliebt. Aber, die Hoffnung stirbt zuletzt.

David

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen